Nachem es nun drei Jahre hintereinander die 10tägige Durchquerung der Hardangervidda bei mäßiger Nachfrage als Angebot gab und diese auch zwei Mal stattgefunden hat, sollte es dieses Jahr mal wieder eine kürzere Tour geben, die einen etwas niederschwelligen Einstieg in das Thema autarke Wintertouren bietet. Dass dieser Plan nicht ganz aufging zeigte sich im Laufe der Tage, aber fangen wir vorne an. Geplant waren 6 Tage und 5 Nächte im Fjell ohne feste Strecke. Erste und letzte Übernachtung in der Fjellstue, Auffahrt mit der Krossobahn, zurück zu Fuß.
Start an der Rjukan Fjellstue und anschließend Transfer der Pulken und Menschen zur Krossobahn, mit der wir einfach den größten Teil der Höhenmeter überwanden und uns danach zügig über die Baumgrenze ins große Weiß bewegen konnten.
Ab dem Zeitpunkt des Verlassens der Waldgrenze bläst uns sehr frischer Nordwind frontal ins Gesicht, es gestaltet sich etwas zäh einen einigermaßen windgeschützten ersten Lagerplatz am Fuß eines Hanges zu finden. Schutz ist wie immer in der Hardangervidda relativ - in den Morgenstunden wird der Wind sehr böig und stürmisch, das Bergans Küchenzelt zeigt wieder einmal, dass es nur bedingt für rauhe Bedingungen konzipiert ist und dass ich ihm besser eine Windschutzmauer gebaut hätte. Damit der Wind es nicht komplett für mich übernimmt, baue ich gegen 6 Uhr ab und überlege das Frühstück ausfallen zu lassen - aber der Wind lässt nach, wir können nochmals aufbauen und frühstücken. Eine Teilnehmerin entscheidet sich, die Tour an der naheliegenden Helberghytta zu verlassen und zurück zu kehren. Zugegeben: der rauhe Nordwind am ersten Tag und in den stürmischen Morgenstunden haben mich auch schon Kraft gekostet, die Vidda begrüßt uns in rauher aber authentischer Manier. Wir wandern an diesem windigen Tag gegen Windgeschwindigkeiten um 50-60 km/h, campieren an einem windgeschützen Platz und setzten unseren Weg am nächsten Tag über den eindrücklich großen See Grytefjord bei mäßigem Wind und immer wieder Sonne gen Norden fort.
An diesem dritten Tag entscheidet eine weitere Teilnehmerin aufgrund einer Magen-Darm Thematik die nächste Hütte anzusteuern, eine weitere mit einer Blase am Fuß und ihre Freundin entscheiden sich auch dafür, bei der Kalhovd Hütte zu übernachten und von dort aus den direkten Weg zurück in die Zivilisation zu nehmen. Ich bin ein wenig frustriert über die hohe Abbruchsquote, daber dazu später noch ein paar Gedanken. Es verbleiben mit mir 3 Männer für den Rest der Runde.
In der Nacht am Grytefjord bricht ein PKPF (Pulka-Knacker-Polar-Fuchs) in eine Pulka ein - leider ohne Erfolg für ihn, es war nichts zu Essen drin. Ich hinterlasse ihm vom Frühstück eine schöne Portion Haferbrei und hoffe, dass er sie später findet und seinen Hunger stillen kann. Wir setzen unseren Weg nun gen Westen durch große Weite fort und erleben an diesem Tag auch ein "Quasi Whiteout" wir wir es nennen, schlechte Sicht, aber nicht ganz weiß in weiß...
Nach dem diesigen Tag klart es Nachts auf, ein grandioser Sternenhimmel und beeindruckend sonniger Tagesbeginn sind die Folge. Wir schwenken ins Grasdalen und damit auf Südkurs ein, zuerst bei Winstille und Sonne, später wieder mit deutlich mehr Wind. Zur Mittagszeit nutzen wir die Pulken als Windschutz für eine würdige Pause und zum Ende dieses landschaftlich sehr beeindruckenden Lauftages finden wir einen eindrucksvollen Zeltplatz mit weitem Blick in Richtung Moosvaten.
Eine kleine Bilderserie vom Herzstück des Camps, dem Küchenzelt...
Am sechsten und letzten Lauftag stoßen wir gegen Mittag auf den Winterweg, der uns sanft abfallend zur Rjukan Fjellstue zurück bringt, wo die anderen schon auf uns warten. Es ist laut Aussage des Wirtes der erste wärmere Tag seit Weihnachten (es ist nun der 23. März) und mächtige Dachlawinen rumpeln von den Dächern der Gebäude. Danke für die authentischen Wintertage in der großen Weite. Es ergab sich eine Runde von 85 Kilometern und rund 1400 Höhenmetern über viele kleine bis mittlere Anstiege.
Die Bilder sind auch in etwas größerer Auflösung in der Bildergalerie zu finden
Helmut hat wieder einen liebevollen GPS Track mit allen Daten der Tour zusammen gestellt, 2MB - Tourbericht Hardangervidda-Wintertour 2018
Dass vier von sieben Menschen früher aus der Tour ausgestiegen sind, stimmt mich als Veranstalter natürlich nachdenklich. Vor allem, da dies in den letzten 3 Jahren eher die Regel als die Außnahme war. Lese ich nun die Ausschreibung nochmals, sehe ich, dass ich aufrichtig alle Herausforderungen beschrieben habe. Aber ich weiß natürlich auch, dass es etwas anderes ist von einem Abenteuer zu lesen, als den stürmischen, eiskalten Nordwind im Gesicht und die schwere Pulka im Tiefschnee hinter mir zu haben. Aufrichtig beschreibe und empfinde ich aber auch, dass gerade eine Wintertour im Norden uns Menschleins sofort und unmittelbar mit der Realität in Kontakt bringt, einer Realität, die wir zentralheizungsgewohnten Menschen normal nicht mehr kennen. Das klingt romantisch, mit dem Nordwind im Gesicht fühlt es sich vielleich aber nicht so an und überfordert uns...
Ein anderes zeitgenössisches Phänomen ist jenes des "Ostens". In der Sicht der Wildnispädagogik folgen wir dem Kreislauf des Lebens, gedanklich und physisch, mit allem was wir tun. Unstrittige Kreisläufe orientieren sich an der Kraft der Sonne, ihrem Aufgang im Osten (Frühling), dem Schwenk über den Süden (Sommer), durch den Westen (Herbst) und die Nacht (Norden / Winter). Wir modernen Menschen sind es nicht mehr gewohnt, Kreise zu Ende zu bringen (weniger eine persönliche, mehr eine gesellschaftlich übliche Neigung, über die wir ggf erst einmal nachdenken können). Aus dieser Sicht leben wir in einer Ost-Süd Gesellschaft: wir fangen gerne neue Dinge an und Tun sie ein bisschen, dann reicht es schnell, wir schalten um, wir kaufen neu, wir tun anderes. Letztes Jahr hatte ich einen Kunden für eine potentielle Hardangerviddadurchquerung. Nach 3 von 10 Tagen war genau diese "Ostenergie-Neugier" befriedigt, er konnte sich denken, was die restlichen 7 Lauftage bringen würden und da er es sich denken konnte, brauchte er sie physisch ja nicht mehr unternehmen und konnte abbrechen. Zu solchen Gedanken kommt zwangsläufig praktisch jeder auf einer Tour dieser Art, z.B. wenn man auf einem langen See läuft, das Ende sehen kann, man ihm aber nur in Zeitlupe ggf über Stunden näher kommt. Es geht auf eine Weise auch um Frusttoleranz und Leben im Augenblick, Schritt für Schritt....
Erst wenn wir Kreise, wenn wir Ereignisse und Lebensphasen zu Ende bringen und bewusst abschließen, dann offenbaren sich oft Botschaften und Erkenntnisse, die wir vorher nicht erwartet haben - und wenn es, wie dieses Mal bei mir, einfach nur das "runde Gefühl" ist, die angedachte Runde in der winterlichen Vidda zu Ende gelaufen zu sein.
So gesehen könnte man aus so einer Tour ein philosophisches Event der Entschleunigung machen, eine Abnehm-Tour (der Kalorienverbrauch einer Tagesetappe entspricht einem Wert zwischen einem halben und ganzen Marathon), einen Ausbildungskurs, ein Naturerlebnisevent - oder einfach das, als was es ausgeschrieben ist: eine authentische Wintertour in nordischer Weite, viel dahinter, aber alles ganz einfach und ehrlich. Keine Schleifen, keine Hintertüren - Ich / Du und die Hardangervidda als Stellvertreterin ursprünglicher Natur - was auch immer diese Begegnung mit der Authentizität dann für jeden bedeutet.
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